Wingcopter 198 Rural America 3
Wingcopter 198 Rural America 3 | © Wingcopter
Symbolisches Drohnenbild 2
Fernspäher unter Feuer | © Bundeswehr / Christian Vierfuß
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Was wäre, wenn Wingcopter in die Rüstungs­industrie einsteigen würde?

Eine Überlegung zu Moral und Ethik im aktuellen Rüstungswahn.

19.10.2025

Über Wingcopter

Wingcopter ist ein deutsches Startup und entwickelt Tiltrotor-eVTOL-Drohnen, welche primär darauf ausgelegt sind Nutzlasten über große Reichweiten kostengünstig und vollautomatisch zu transportieren. Weitere Anwendungen sind die Datenerfassung mittels verschiedener Sensoren aus der Luft. Das Unternehmen wurde 2017 von Jonathan Hesselbarth, Tom Plümmer, und Ansgar Kadura in Darmstadt gegründet. Wingcopter hat bereits über € 100 Millionen an Investoren-Geldern eingesammelt und finanziert damit die Entwicklung der bis heute nicht vollständig marktreifen Drohnen. Das Unternehmen beschäftigt schätzungsweise 150 Mitarbeiter:innen.

Über Mich

Ich bin Janning Quint und war 2019 bis 2021 bei Wingcopter als Entwicklungsingenieur sowie als Head of Engineering beschäftigt. Ich war damals sowohl an der technischen Entwicklung der Drohnen sowie auch an der fachlichen und strategischen Unternehmensführung beteiligt. Vor allem an den Anfängen der Neuentwicklung des heutigen Produkts Wingcopter 198 habe ich maßgeblich mitgewirkt, sodass ich noch immer eine gewisse Verbindung zum Unternehmen, den Mitarbeiter:innen sowie zum Produkt verspüre.

Um was geht es hier?

Wir leben zweifelsfrei in verrückten Zeiten. Obwohl wir ausreichend Probleme, wie z.B. die der Klimakrise zu bewältigen hätten, beschäftigen uns tagtäglich wieder die Kriege dieser Welt.

Tagtäglich drehen sich eine Vielzahl der Pressemeldungen um die angebliche Bedrohungslage durch Russland. Dabei geht es schon lange nicht mehr um das "ob", sondern nur noch darum, wie schnell und mit wieviel Geld man nun dringend aufrüsten müsse. Diplomatische und konfliktschlichtende Lösungsvorschläge werden zumeist als naiv und realitätsfern abgetan - entgegen jeder Lehre aus der Geschichte.

In der Wirtschaft und ganz besonders in der Startup-Welt ist das neue Mindset schon länger klar. Ich erinnere mich sehr gut an den Angriff der russischen Armee auf die Ukraine, bei welchem die Aktien der Rüstungskonzerne durch die Decke gingen und ich gerade dabei war mein eigenes Startup aufzubauen. Einige Investoren ließen damals nicht lange darauf warten mich mit Dollarzeichen in den Augen anzurufen und mich nach möglichen "alternativen" Einsatzzwecken von Flugzeugen zu fragen..

Dass eine Technologie wie die von Wingcopter diverse militärische Einsatzzwecke abdecken könnte, stand schon immer außer Frage. Daher war das Thema innerhalb der Firma schon immer wichtig. Allen Mitarbeiter:innen lag immer viel daran, dass sich Wingcopter als eines der wenigen Drohnen-Startups stets konsequent als rein ziviles Unternehmen positionierte - auch wenn dies manchmal der finanziell schwierigere Weg war.

Doch heute lässt sich vermuten: Das Unternehmen kann noch immer keinen nennenswerten Umsatz vorweisen. Von Jahr zu Jahr wird es für das Startup schwieriger die notwendigen Gelder einzusammeln. Und jedes Mal erhöht sich auf die Gründer der Druck, den Investoren ausreichend Gewinnversprechungen und Firmenanteile bieten zu können.

Mich treiben daher in letzter Zeit vermehrt die folgenden Fragen um:

Vision und Mission von Wingcopter

Wingcopter hat sich stets mit seinen moralisch und ethisch einwandfreien Werten und Zielen gebrüstet, welche ausnahmslos auf kommerzielle und humanitäre Zwecke abzielten. Mit dieser Haltung konnten sie bisher zahlreiche Menschen überzeugen: Dazu gehören Investoren, Politiker:innen, Medien wie aber auch maßgeblich die eigenen Mitarbeiter:innen.

Laut der aktuellen Webseite der Firma wingcopter.com lautet die Vision noch immer:

"[…] to improve and save lives"

Ein Punkt der Mission lautet zudem:

"Wingcopter solutions have a clear civil purpose […]"

Auch in Pressemitteilung lässt sich CEO Tom Plümmer regelmäßig mit Aussagen wie diesem zitieren: (https://techcrunch.com/2023/05/10/wingcopter-drone-delivery-startup-eib/)

"[…] if Wingcopter’s drones could help form part of the fleet of drones being sent to Ukraine to help with its defense against Russia. Wingcopter refused: The company, he said, is committed to its drones never being used in combat situations. […]"

Die Message ist also eindeutig: Wingcopter steht klar für einen zivilen Auftrag und hat diese Haltung schon immer so vertreten. Durch die jahrelange konsequente Außendarstellung hat Wingcopter eine Art Vertrauenserwartung und moralische Zusicherung aufgebaut. Diese haben sie erfolgreich genutzt, um Ihre bisherigen finanziellen und personellen Mittel einzuholen.

Vor allem in der Gewinnung der Mitarbeiter:innen war die zivilie oder sogar humanitäre Mission ein maßgeblicher Faktor und sorgte dafür die besten Leute zu gewinnen und zu motivieren. Andernfalls hätten in der Anfangszeit Leute wie ich, aber auch so gut wie alle meiner damaligen Kolleg:innen, niemals in der Firma gearbeitet. Und ebenso verhält es sich höchstwahrscheinlich mit vielen der anfänglichen Geldgeber, zu denen man übrigens nicht nur die Investoren selbst, sondern auch die Unterstützung aus der Politik sowie auch die zahlreichen anfänglichen Vorzeigeprojekte zusammen mit NGOs wie z.B. UNICEF zählen muss.

Es ist also klar, dass im heutigen Produkt Wingcopter und dessen Qualität hunderttausende Arbeitsstunden und Millionen von Fördergeldern stecken, die eben für diese zivile Mission aufgebracht wurden. Durch die bisher so klare Bekennung zu zivilen Anwendungen wäre ein Missionswechsel hin zu militärischen Anwendung also ein krasser Bruch. Ich bin sicher, dass viele aktuelle wie auch ehemalige Mitarbeiter:innen und Geldgeber:innen sich verraten und hintergangen fühlen würden, sollte ein solcher Wechsel passieren.

Anfangs noch Defense, später dann .. ?

Leider muss man mit Erschrecken feststellen, wie viele Menschen 80 Jahre nach Beendingung des zweiten Weltkrieges und in Mitten von stetig ansteigenden globalen Spannungen wieder "kriegstüchtig" sein wollen und einer solch massiven Aufrüstung wie der aktuellen zustimmen. Das Schlimme daran ist: Ich kann den Menschen selbst oft gar keine großen Vorwürfe machen: Denn informiert man sich mit durchschnittlichem Aufwand aus den üblichen Medien oder scrollt gar nur noch durch Social-Media-Feeds, klingt doch die Bedrohungslage mehr als plausibel und die Schwarz-Weiß-Einordnung in "die Guten" und "die Bösen" in der Welt ist völlig eindeutig.

Klar ist, es gibt Menschen mit bösen Absichten und es gibt viele schlimme Entscheidungen und Taten in dieser Welt. Hier sollte niemand in Schutz genommen werden. Nur sollte man niemals vergessen, dass diese Art von Menschen immer auf beiden Seiten der Konflikte sitzen, keineswegs nur russisch sprechen und vor allem quasi nie etwas mit der allgemeinen Bevölkerung eines Landes zu tun haben.

Trotzdem: Das über die letzten ca. 15 Jahre gebetsmühlenartige Wiederholen des Bildes vom "bösen Russen" sowie die stets subtil durchgeführte einseitige Berichterstattung konnten das alte Feindbild erfolgreich wiederherstellen und damit die vorhergehende Annäherung zwischen Europa und Russland wieder zunichte machen. Ganz zur Freude der USA. Heute braucht es dann nur noch einen kurzen Putin-Hitler-Vergleich in der aufgeheizten Stimmung und jegliche Aufrüstung, ob sie in Wahrheit dem Frieden oder den Gewinnen der Rüstungsindustrie dient, kann als moralisch vertretbares oder gar notwendiges Mittel umgedeutet und gerechtfertigt werden. Leider folgt das den immer selben Mustern, die wir eigentlich längst alle aus der Geschichte kennen sollten..

Und so befürchte ich, dass es ähnlich inzwischen auch in einem Startup wie Wingcopter laufen könnte: Die Investoren geben den Ton an und machen Druck. Das große Geld winkt mit dem Zaunpfahl. Die Gründer müssen Zugeständnisse machen. Und plötzlich wird die Lösung, sich die militärischen Anwendungen schönzureden und nicht ganz so genau hinzuschauen sehr sehr attraktiv.

Selbstverständlich würde es im Falle eines Falles zuerst um "reine Defense-Anwendungen" unter strenger Einhaltung der firmeneigenen Werte gehen. Was ist schon Schlechtes daran, die Soldaten an der Front mit Medizin zu versorgen oder ihnen Aufklärungsdaten aus der Luft zu liefern? Vor allem wenn es um den Kampf gegen "die Bösen" geht..

Nun ja: Die Geschichte zeigt nunmal recht eindeutig, dass keine Technologie nur auf eine Weise benutzbar ist. Man braucht nicht all zu viel Fantasie um sich einen Einsatzzweck für ein Flugobjekt auszudenken, welches in kürzester Zeit ca. 5 kg schwere Nutzlasten präzise an einem beliebigen Zielort abwerfen oder auch eine beliebige anderweitige Nutzlast tragen kann. Und ich denke man braucht sich auch nicht einzureden, dass das Militär im Falle eines Krieges und im Besitz der Technologie, noch große Rücksprachen zur ethischen Meinung des liefernden Startups halten würde.

Leider müsste man vielmehr die dringende Befürchtung haben, dass es nach einmaligem Öffnen der "Büchse der Pandora" kein Weg mehr zurück gäbe und die Abhängigkeit vom endlosen Geldtropf auch zu entsprechenden Machteinflüssen in den Entscheidungswegen führen würde.

Ich persönlich hoffe also sehr, dass es soweit nie kommt!

Was aber wenn doch?

Mal angenommen die Gedanken stünden tatsächlich an. Entweder auf Grund des Druckes von Seiten der Investoren, der Politik oder gar wegen persönlicher Meinungen:
Wie müsste die Firma einen solchen Kurswechsel angehen?

Zweifelsohne könnte die Chefetage dies nicht allein im stillen Kämmerlein entscheiden. Schon auf Grund der oben aufgeführten langjährigen Missions-Ausrichtung, aber auch grundsätzlich wegen der Brisanz des Themas, müsste bei einer solch grundlegenden Entscheidung die Belegschaft frühzeitig miteinbezogen und ein demokratischer Weg eingeschlagen werden!

Vermutlich wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr angebracht, sodass ausreichende Gespräche geführt werden könnten. Dies würde den Mitarbeitenden im Zweifelsfall eine faire Möglichkeit bieten, sich beruflich neu zu orientieren. Ohne zu zögern wäre das auch meine persönliche Entscheidung und, wie ich weiß, die vieler meiner damaligen Kollegen. Eine plötzliche Ankündigung der Tatsachen hingegen wäre eindeutig unfair und nicht vertretbar, da viele in ein Dilemma geraten würden, in dem sie beispielsweise zwischen der Entscheidung „Ich kann mein neugeborenes Kind nicht mehr versorgen oder meinen Hauskredit nicht mehr finanzieren“ und „Ich arbeite in der Rüstungsindustrie“ wählen müssten.

Es wäre den Führungskräften also dringend anzuraten sich am Ende nur dann für einen Kurswechsel zu entscheiden, wenn eine große Mehrheit hinter einer solchen Entscheidung stünde. Auch wenn ich dies persönlich extremst bedauern würde, wäre somit zumindest eine gewisse Verantwortung für die Entscheidung, bei der es letztlich eben sogar um Menschenleben gehen wird, auf die Mitarbeitenden umgelegt worden.

Appell

Sollte ich mit meinen Befürchtungen richtig liegen und Überlegungen in dieser Art anstehen, möchte ich euch Folgendes mitgeben:

Technischer Fortschritt ist kein Selbstzweck. Es liegt an uns, sicherzustellen, dass er mit den Werten und Prinzipien vereinbar bleibt, für die wir stehen. Und eben gerade Deutschlands Werte sollten nicht Aufrüstung und Krieg lauten.

Ich denke, dass sich viele diesselben Fragen stellen. Wir arbeiten in einer Zeit, in der Technologie immer stärker politisch, wirtschaftlich und militärisch vereinnahmt wird. Umso wichtiger ist es, dass wir über Verantwortung sprechen — bevor andere darüber entscheiden. Denn letzlich haben wir es in der Hand zu entscheiden, an was wir arbeiten. Wenn wir Ingenieur:innen nichts entwickeln und die Leute in den Werkstätten nichts bauen, können die Führungskräfte, Politiker:innen und Investoren einfordern so viel sie wollen - ohne uns sind sie machtlos.

Daher mein Wunsch:

Ich habe mir immer geschworen, nie für das Militär zu arbeiten. Mich persönlich würde es daher extrem belasten, einen Wincopter, an dem ich einst mitgearbeitet habe, im Camouflage-Look sehen zu müssen. Wenn ihr also irgendeine Chance seht das zu verhindern: Verhindert es.

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